Der Historische Verein Wertheim – Abriss seiner Gründungsgeschichte

 

 

 

von Dr. Marion Diehm, Wertheim

 

Der Historische Verein wurde am 25. April 1904 gegründet, damals noch mit dem Namenszusatz „Alt-Wertheim“. Mehrere Pfarrer, Lehrer, Handwerksmeister, Apotheker, einige höhere Beamte und Kaufleute, darunter auch der spätere langjährige Vereinsvorsitzende Otto Langguth (1878-1968), waren seine ersten Mitglieder. Gemäß der zwischenzeitlich modernisierten Satzung war und ist es sein Anliegen, das Verständnis für Geschichte, Volks- und Heimatkunde in Stadt und Grafschaft Wertheim zu wecken und zu pflegen,die Forschung und wissenschaftliche Arbeit auf diesen Gebieten zu fördern sowie geschichtliche und kulturelle Denkmäler aller Art vor Untergang, Verunstaltung und Abwanderung zu bewahren. Mit seiner Gründung startete der Verein eine eigene Sammeltätigkeit. Seit 1905 publiziert er seine Jahrbücher, die ab 1911 durch wissenschaftliche Beiträge eine inhaltliche Vertiefung erfuhren. Man stand in Schriftentausch mit anderen Vereinen, Gesellschaften und Institutionen, etwa mit dem „Mannheimer Altertumsverein“, dem „Historischen Verein für das Großherzogtum Hessen“ oder auch dem Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg. Die im Laufe der Zeit erworbenen Objekte wurden zusammen mit den Beständen der rund 25 Jahre früher ins Leben gerufenen städtischen Sammlung in der profanierten Kilianskapelle, die als „städtische Altertumshalle“ fungierte, ausgestellt.

 

Bereits am 10. November 1878 war in der Wertheimer Zeitung ein Artikel erschienen, der die Einrichtung einer städtischen Sammlung anregte. Als Verfasser gilt der Apotheker und spätere fürstlich Löwensteinsche Archivar Dr. Karl Wagner (1833-1889). Seinen Ausführungen zufolge war der hiesige Gemeinderath ... bereit, sich der Sache anzunehmen, einen Schrank zu diesem Zweck zur Verfügung zu stellen und für die erforderliche Beaufsichtigung Sorge zu tragen. Es ergeht daher die freundliche Aufforderung an alle, welche im Besitz von Schriften, Drucksachen oder bildlichen Darstellungen sind, ... solche für die anzulegende städtische Sammlung stiften zu wollen.... Mit Ausnahme bildlicher Darstellungen galt der Aufruf primär schriftlichen Überlieferungen. Die Sachkultur, also Möbel, Geschirr, Trachten, Münzen etc., die in späteren Jahren beinahe alleiniger Gegenstand musealer Sammeltätigkeit war, blieb zunächst ausgeklammert. Zu den ersten Zuwendungen, die der Gemeinderat am 15. November 1878 ins Ratsprotokoll aufnahm, zählten eine 1735 bei Johann Georg Nehr gedruckte Wertheimer Bibel, Küferzunftbriefe aus dem 16. und 17. Jahrhundert sowie ein kleinformatiges Porträt der Gräfin Catharina Elisabeth zu Löwenstein-Wertheim (1586-1634), die die Wertheimer Bevölkerung auch als „Gräfe Kätterle“ kennt. Im Rathaus, wo der Depositienschrank stand, konnten Interessierte die Gegenstände besichtigen.

 

Eine bedeutende Rolle im Kulturleben der Stadt spielte auch der bekannte Dichter, Kultur- und Sagenforscher Alexander Kaufmann (1817-1893), der um die Mitte des 19. Jahrhunderts nach Wertheim kam, um die Stelle eines fürstlichen Archivars anzutreten. Kaufmann war nicht nur ein maßgeblicher Förderer der städtischen Sammlung, sondern zugleich Mittelpunkt einer historischen Vereinigung, der sogenannten Tafelrunde. Mit dieser wollten er und seine Mitstreiter, darunter Gelehrte, Kaufleute, Geistliche und Beamte sowie einige höhere Offiziere, die seit dem Ende des Alten Reiches unterbrochene, landesgeschichtliche Forschung wiederbeleben. Wie aus dem ältesten Zirkular vom März 1884 hervorgeht, war die „Wertheimer Tafelrunde“ als Zweigverein des Historischen Vereins für Unterfranken und Aschaffenburg, mit Sitz in Würzburg, gegründet worden. Zweck und Aufgabe des Vereins ist das Interesse für Geschichte überhaupt, insbesondere für Ortsgeschichte unter den Mitgliedern zu beleben und auf Erhaltung der geschichtlich merkwürdigen Baudenkmale in Stadt und Umgebung hinzuwirken. Ebenso wird er seine Fürsorge der städtischen Alterthumssammlung zuwenden, und auf deren Vermehrung bedacht sein. Die Tafelrunde bestand neun Jahre lang. Da ihr Wirken auf einen kleinen Mitgliederkreis beschränkt blieb, war sie im öffentlichen Bewusstsein eher wenig verankert, mit dem Tod Kaufmanns löste sie sich auf.

 

Der Deutsch-Französische Krieg 1870/71 und die daraus resultierende Gründung des Deutschen Reiches in Versailles hatten patriotische Bestrebungen, die sich u. a. in der Gründung zahlreicher vaterländischer und historischer Vereinigungen äußerten, verstärkt. Die vor diesem Hintergrund entstandene städtische Sammlung und die „Tafelrunde“ waren wichtige Initiativen, um in der Wertheimer Bevölkerung das Bewusstsein für die eigene Geschichte und Kultur zu wecken und zu schärfen. Sie ebneten der Gründung eines eigenständigen historischen Vereins den Weg. Ausschlaggebender Impuls hierfür war die Weihe einer neuen Kirchenglocke im heutigen Ortsteil Sachsenhausen im November 1903. Die gesprungene gotische Vorgängerglocke mit der Inschrift mich gos meister hermann von wertheim war regional und kulturell bedeutend und sollte für die städtische Altertumssammlung angekauft werden. Die vom Gemeinderat bereitgestellten und durch Spenden eingeworbenen Mittel reichten jedoch nicht aus. Dieser Umstand bewog einen anonymen Autor, sich in der Presse mit der Angelegenheit auseinanderzusetzen. Am Erwerb der alten Sachsenhäuser Glocke werde deutlich - so der Schreiber -, wie viel noch für die Erhaltung Wertheimer Altertümer zu tun sei. In solchen Fällen sollte hier ein Verein existieren, welcher es sich zur Aufgabe macht, die nötigen Gelder zu beschaffen, sei es durch Mitgliedsbeiträge oder Abhaltung von belehrenden und zugleich anregenden Vorträgen ec . Diese Anregung fiel auf fruchtbaren Boden, für den 25. März 1904 wurde in der Stadt eine Vorbesprechung anberaumt, zu der etwa 20 Herren erschienen – Frauen traten damals noch nicht in Erscheinung. Anstatt sich einem der bestehenden Vereine, etwa dem Verschönerungsverein, anzuschließen, plädierten die Anwesenden für eine Vereins-Neugründung. Am 20. April trat ein gewählter Ausschuss zu einer Sitzung zusammen. Der im schweizerischen St. Gallen geborene Pädagoge und Archäologe Ernst Kapff (1863-1944), der u. a. im Auftrag der Reichs-Limes-Kommission Ausgrabungen geleitet hatte, führte zunächst den Vereinsvorsitz, Pfarrer Georg Kappes übernahm den Posten des Protokollführers. Kaufmann Otto Langguth fungierte als Rechner bzw. Kassenwart, bevor er nach dem Weggang Kapffs ab 1906 für viele Jahre als Vorsitzender den Verein prägte. Auf Grundlage der Satzungen des 1898 gegründeten Vereins „Alt-Rothenburg“ bereitete Langguth einen Entwurf vor, der nach eingehender Diskussion angenommen wurde. Dem Rothenburger Vorbild folgend, nannte sich der Verein ab sofort „Alt-Wertheim“. Schnellstmöglich wollte man eine allgemeine Zusammenkunft abhalten, um weitere Bevölkerungskreise für die Vereinsziele zu interessieren und neue Mitglieder zu gewinnen. Diese Versammlung, die zugleich als Gründungstag des Historischen Vereins (Alt-)Wertheim gilt, fand am 25. April 1904 im Saal des Gasthauses zur Kette statt, das seinerzeit zu den renommiertesten Gasthäusern der Stadt zählte.

 

Wie eingangs bemerkt, diente zunächst die Kilianskapelle, die bis 1871 das Wertheimer Gymnasium (Lyceum) und danach einige Volksschulklassen sowie die Frauenarbeitsschule beherbergte, für viele Jahre als städtische Altertumshalle; stand anfangs nur das Dachgeschoss zur Verfügung, konnte nach einer umfangreichen Restaurierung ab 1904 der gesamte Kirchenraum für eine museale Präsentation genutzt werden. Die Aufstellung der Exponate erfolgte unter Anleitung von Ernst Wagner (1832-1920), damaliger Direktor der Großherzoglich Badischen Sammlungen für Altertums- und Völkerkunde in Karlsruhe. Im 1914 erworbenen Vereinshaus „Zu den Vier Gekrönten“ in der Rathausgasse planten die Vereinsmitglieder neben einer Bibliothek und anderen Ausstellungsräumen auch die Einrichtung einer historischen Küche „nach altdeutscher Art“. Diese Vorhaben ließen sich nur sukzessive verwirklichen, da das erste Stockwerk des Hauses zeitweise als Notwohnung genutzt wurde. Anfang der 1930er Jahre war die Einrichtung des Vereinshauses weitgehend abgeschlossen. Im Mai 1932 wurde in einer Zeitungsannonce zur Besichtigung des Vereinshauses... mit seinen neugeordneten interessanten Sammlungen Historische Küche, Trachtenschau, Bauernstube, Waffensammlung, Bilder und Altertümer aus Alt-Wertheim und der Grafschaft eingeladen, der Eintritt kostete 20 Pfennige. Schon Anfang der 1920er Jahre hatte Hans Rott (1876-1942), der 1919 zum Gründungsdirektor des Badischen Landesmuseums ernannt worden war, die zwischenzeitlich recht umfangreichen Bestände in der Kilianskapelle nach damals aktuellen wissenschaftlichen Kriterien neu geordnet. In späteren Jahren, lange nach Ende des Zweiten Weltkrieges, diente die ehemalige katholische Hofhaltung in der Mühlenstraße, einst auch Stadthof des Klosters Bronnbach und heutiges Rathaus, für viele Jahre als Museumsstandort, nachdem die Kilianskapelle zu klein geworden war und den konservatorischen Erfordernissen nicht mehr entsprach. Seit 1989 ist das „Historische Museum für Stadt und Grafschaft Wertheim“, das seit 1993 den Namen „Grafschaftsmuseum“ führt, offiziell im „Alten Rathaus“ ansässig. Der alte herrschaftliche Gebäudekomplex in der Rathausgasse, aus dem "Vierherrenhof", dem „Klinkhartshof“ und einem verbindenden Treppenturm bestehend, ist heute durch einen gläsernen Steg mit dem ehemaligen Vereinshaus „Zu den Vier Gekrönten“, das ebenfalls Ausstellungszwecken dient, verbunden. Die von Anfang an praktizierte gemeinsame Präsentation der vereinseigenen Sammlungen und der städtischen Sammlungen wird somit auch an den Gebäuden signifikant.

Die vorliegende Zusammenfassung basiert auf folgender ausführlichen Publikation, die zugleich als Magisterarbeit an der Julius-Maximilian-Universität Würzburg eingereicht und von dieser angenommen wurde: Diehm, Marion: „... für die anzulegende städtische Sammlung stiften zu wollen“. Die kulturhistorischen Sammlungen der Stadt Wertheim von 1878 bis 1933, in: Wertheimer Jahrbuch 2002, Neustadt a. d. Aisch 2003, S. 205-299.

 

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